Verführung
Kulturwissenschaften
Kulturwissenschaften I
Lehrende
Prof. Dr. Ingeborg Harms
Kick-Off
Donnerstag 28.04.2016,
15-18 Uhr
Raum
STR, Raum 208
Aus dem theoretischen und öffentlichen Diskurs ist das Thema Verführung seit langem verschwunden. Gleichzeitig befinden wir uns auf den medialen und traditionellen Märkten in einer extremen Situation des Überangebots, das ohne Verführungstechniken kaum auf Erfolg rechnen kann. Vielmehr ist Verführung die Kardinaldisziplin des Kapitalismus, der Konsum wird massiv von ihr geleitet und reguliert. In der Mode war Verführung bis in die sechziger Jahre eine zentrale Kategorie, doch inzwischen kommt sie in ihrem Selbstverständnis ohne sie aus. Zugleich beanspruchen suggestive Metaebenen wie Branding, Packaging, Marken-DNS, Advertising und VIP-Management und Storytelling die Hauptenergie der Modepräsentation. Mode- und Produktdesign haben hier Nachholbedarf, und Verführung ist ein kritischer Begriff, mit dem sich die Auseinandersetzung lohnt.
Doch Verführung ist auch ein interpersoneller Begriff, der trotz seiner Schlüsselrolle in der Philosophie der Postmoderne mit patriarchalischen Konnotationen behaftet bleibt. Während er reflexhaft Schuldkontexte und das Machtgefälle zwischen Mann und Frau heraufruft, verstehen heutige Liebesbeziehungen sich als Konsenzmodelle, denen Ideale wie Vielfalt und freie Partnerwahl zugrunde liegen. Dabei ist gerade in der polymorphen Liebeswelt das Verführungsvermögen ein Index der Freiheit. Das Seminar wird theoretische und literarische Texte zum Thema konsultieren, aber auch die Werbewirklichkeit des großen Geschäfts unter die Lupe nehmen. “Lieben heißt, jemandem etwas anzubieten, das er nicht will und das man nicht hat”, sagte Jacques Lacan. Wie wird die Libido von Werbestrategien angesprochen? Was hat die Psychoanalyse zur Disponibilität des Subjekts zu sagen? Und können legendäre Verführerfiguren wie Casanova und Don Juan uns noch etwas mitteilen?